Atelier No Name
Ani (33) und Simon (31) betreiben seit Oktober 2023 in der Potsdamer Innenstadt ein Tattoostudio, wo ihr auch handgefertigte Produkte lokaler Designer kaufen könnt. Wir haben sie zum Interview getroffen und nachgefragt, wie sie zum Tätowieren und zueinander gefunden haben, was ihre Arbeit so besonders macht und was sie an Potsdam lieben.
Allererste Frage: Wie habt ihr euch eigentlich gefunden und wann kam der Moment, in dem ihr gesagt habt „Lass mal ‘nen Atelier aufmachen”?
Ani: Die erste Kontaktaufnahme kam von meiner Seite. Ich habe damals noch nicht richtig aktiv tätowiert, sondern erstmal nur nach Räumlichkeiten gesucht, aber wie es in Potsdam so ist: alles teuer. Da meinte eine gemeinsame Freundin, ich soll doch mal Simon kontaktieren, um einen Raum zu teilen. Ich habe dann Simon auf Instagram geschrieben, aber er meinte, er traut sich das nicht zu.
Simon: Genau. Ich stand halt noch relativ am Anfang und hatte noch keine StammkundInnen. Also war ein eigenes Studio halt damals irgendwie nicht mal so easy peasy zu stemmen und ich hatte auch immer Respekt davor, dass beispielsweise die Auftragsbücher in der Woche nicht voll werden. Dann hat sich das alles nochmal verlaufen und wir hatten etwa anderthalb Jahre keinen Kontakt.
Ani: Wir haben auch nie wieder gechattet oder so. Es kam die Frage. Die Antwort. Ich hatte total Verständnis für die Absage und dann gab es erstmal keine Wegkreuzung.
Jetzt sind wir auf den Plottwist gespannt!
Ani: Eine Bekannte sagte dann irgendwann nochmal den Namen Simon und dass sich da wohl berufstechnisch einiges verändern wird. Sie hat ihm nochmal den Denkanstoß gegeben.
Simon: Ja, ich habe dann den Chat rausgekramt und war bereit für den Change.
Ani: Dann gab’s nen Aperoli im La Leander und habe Simon mein Atelier hier gezeigt, was ich aber gerade schon für eine kleinere Räumlichkeit gekündigt hatte. Dann musste ich beim Vermieter anrufen und sagen: „Ja, also ich nehme das alles wieder zurück.“ Der hat gefühlt zehn Minuten gelacht und meinte nur „Ist doch cool, dass Sie bleiben!” Und dann ging es los!
Eine der Dinge, die euch besonders macht, ist der doch sehr konträre Vibe eures Tätowier-Styles, Ani ist ja zum Beispiel auf das Handpoking, also das Stechen ohne Maschine, spezialisiert. War das etwas, bei dem ihr dachtet: Gemeinsam erreichen wir einfach noch mehr Leute?
Ani (lacht): Unser Vibe ist in vielen Dingen und nicht nur beim Tätowieren sehr unterschiedlich!
Simon: Ja. Leider habe ich schon öfter innerhalb der Tattoo-Szene dieses klassische Bashing mitbekommen, bei dem gesagt wird, Handpoking sei kein richtiges Tätowieren, aber witzig ist ja, dass maschinelles Tätowieren genau da herkommt. Für mich war es immer faszinierend. Die Geduld, die Ani da mitbringt und wie viel feiner das Tattoo ist, weil die Kontrolle über die Farbe einfach mehr da ist. Am Ende habe ich aber nie wirklich darüber nachgedacht, dass unsere Methoden unterschiedlich sind. Für mich ist Ani Tattooartist und ich bin Tattooartist. Fertig.
Ani: Wir müssen halt auch nie jemanden woanders hinschicken, sondern können immer innerhalb des Studios bleiben. Aber ich glaube, für mich war die persönliche Ebene das Wichtigste. Wir haben einfach gematched und das ist gar nicht so einfach zu finden. Erst danach ist mir bewusst geworden, wie doll wir uns eigentlich ergänzen.
Gibt es für euch als Kreativschaffende Orte in Potsdam, die euch besonders inspirieren?
Ani: Unser Studio! (beide lachen) Ich glaube, deshalb haben wir das Atelier. Für mich gibt es diese Orte nicht und für mich war es am Wichtigsten, einen Raum zu schaffen, in dem andere sich inspiriert fühlen.
Simon: Für mich werden die kreativen Räume innerhalb der Stadt auch immer weniger und deshalb freue ich mich, so einen Ort zusammen mit Ani zu haben. Es gibt jedoch eine Solidarität mit anderen Leuten, die Kunst machen. Ein Teil dieser Bewegung zu sein, motiviert mich extrem.
Ani: Mir fehlt die Gemeinschaft der kreativen Szene. In meinem Handwerk sehe ich sie weniger. Für mich sind es eher Menschen aus anderen Bereichen, wie zum Beispiel das „Bleib Sauber”.
Fühlt ihr euch in der Stadt als UnternehmerInnen abgeholt?
Ani: Der Support könnte besser sein. Wenn ich das von Menschen aus anderen Städten höre, muss ich sagen, dass mir in Potsdam richtige Unterstützung fehlt.
Simon: Wie überall in Potsdam sind vor allem Immobilien das Problem. Wir hatten einfach sehr viel Glück. Ich kann studieren und mich nebenbei kreativ ausleben, weil auch unsere Miete tragbar ist, dafür bin ich super dankbar, weil das meistens hier in der Stadt fehlt.
Ani: Shoutout an den Vermieter!
Wie seid ihr eigentlich zum Tätowieren gekommen?
Simon: Super spät. Ich habe mein erstes Tattoo erst mit 21 bekommen. Ich habe aber immer gezeichnet und war sehr gerne kreativ. Ursprünglich habe ich Schmied gelernt. Irgendwann bei einer Glühweinfete habe ich mit einer Freundin über die Kunst und das Tätowieren geredet und habe mir dann mit Hilfe eines Kredits meiner Eltern meine erste Tätowiermaschine gekauft. Ich habe dann ein, zwei Jahre Erfahrung in einem Studio gesammelt und jetzt bin ich hier.
Ani: Mein Anfang ist ähnlich. Ich habe immer gerne gezeichnet. Meine Eltern haben meine Kreativität auch sehr gefördert. Angefangen habe ich in der Film- und Fernsehbranche. Irgendwann habe ich mir mein erstes Tattoo stechen lassen und es ist viel größer geworden, als geplant, es reichte über den ganzen Unterarm. Die Idee „Das muss doch anders gehen” hat mich nicht mehr losgelassen und ich wollte es selbst ausprobieren. Ich habe jedoch kein Studio gefunden, das mich ausbildet. Und dann hat eine Freundin einen Handpoked Tattoo Workshop gemacht und dann wollte ich das auch können und die Methode in die Welt bringen.
Gibt es Motive, die euch in eurer Zeit hier besonders in Erinnerung geblieben sind? Sei es wegen des Motivs oder der Geschichte?
Ani: Wenn es um unsere gemeinsame Arbeit geht, fällt mir sofort dieser kleine Miniatur-Wal am Knöchel ein, der war nur zwei Zentimeter groß und während ich den gestochen habe, hat Simon in der Zeit einfach ein ganzes Bein mit Schattierungen gefüllt. Es gab bei mir schon einige Tattoos mit besonderer Bedeutung, das ist oft sehr emotional. Das liegt glaube ich daran, dass ich eher kleine Tattoos steche und die sind aus meiner Erfahrung meistens die mit viel emotionalem Wert und einer Geschichte. Ich erinnere mich auch an einen Kunden, der eine 15 Zentimeter große Eule wollte, basierend auf einem Anhänger seiner Oma. Er wollte es unbedingt bei mir stechen lassen, weil das Hobby der Oma Sticken war, deshalb war ihm die Handarbeit sehr wichtig.
Hattet ihr mal ein Lieblingsdesign?
Simon: Bei mir ist das Schönste, wenn Leute mir freien Space geben und einfach sagen „Mach!”.
Krass. Das machen Leute?
Simon: Ja, tatsächlich. Ich mache das häufig: Einfach aufmalen, direkt auf dem Körper, ohne Vorbereitung. Das ist das Schönste, weil das für mich heißt, dass die Leute mir so vertrauen und meinen Stil, so wie er ist, feiern. Das wird der Körper zu meiner Leinwand. Ich kläre aber vorher ab, ob ich wirklich komplett freie Hand habe, oder ob zum Beispiel bestimmte Abneigungen existieren. Ich kann schlecht damit arbeiten, wenn Leute einfach ein Foto schicken und sagen „Hier.” Ich muss da schon die Anatomie des Körpers sehen. Wie verlaufen die Muskeln zum Beispiel? Die besten Ergebnisse entstehen direkt auf dem Körper.
Ani: Ich mag Wannados. Das sind Motive, die vorher von mir gezeichnet werden und die dann ausgewählt werden können. Leider komme ich viel zu wenig dazu, oft erst spät abends. Die meisten KundInnen haben aber konkrete Vorstellungen und diese setze ich auch sehr gern um.
Bei euch wird Tätowieren zur Kunst. Würdet ihr sagen, dass das mittlerweile auch wirklich so anerkannt wird?
Simon: Es wird langsam mehr. Aber wirklich sehr langsam. Ich habe lange mit der Künstler- und Sozialkasse gestritten. Wir zählen offiziell nicht zu den Kunstschaffenden, sondern weiter als HandwerkerInnen und bekommen dadurch keine Unterstützung.
Ani: Die Wertschätzung ist hier wieder so ein Thema. Auch von Leuten, die Tattoos anfragen. Entweder wollen sie genau das, was sie bei Pinterest schon gesehen haben. Dabei ist Tätowieren schon etwas Individuelles. Aber viel wichtiger: Wenige wollen die Leistung zahlen. Tätowieren hat aus meiner Sicht noch dieses Image: “Ich geh mal schnell rein” und der Prozess dahinter wird kaum wahrgenommen.
Bei dem Geld schlucken die Leute dann?
Ani: Ungelogen, das ist meine größte Diskussion.
Simon: Ich habe kaum Neuzugänge, deshalb wissen die meisten bei mir um die Preise, aber gleichzeitig auch, was für Qualität sie dafür bekommen. Ich sehe oft Leute, die auf Ketten und billige Tattoos reingefallen sind. Dann kommen sie her und wollen, dass wir das retten. Wenn man irgendwo nicht sparen sollte, dann ist es bei Tattoos. Das ist für immer.
Ani: Ja, die Erfahrungsberichte sind leider oft „Ich war im Urlaub und los ging’s.” Klar sind Tattoos auch Emotionen, also voll ok. Aber auch Gesundheit und Hygiene sind in diesem Job wirklich wichtig und wir legen da sehr großen Wert drauf.
Simon: Tätowieren ist sehr intim und wir verändern den Körper für immer. Sich wohlzufühlen ist super wichtig. Wir setzen uns mit dem Thema Hygiene viel auseinander. Das ist glaube ich nicht immer die Regel.
Euer Atelier ist ja nicht nur ein Tätowierstudio, sondern mittlerweile auch ein kleiner Kreativspace.
Ani: Der Shop ist mein Herzensprojekt. Mein Ziel ist, auf kleine KünstlerInnen aufmerksam zu machen. Ich möchte, dass Handwerk wertgeschätzt wird und andere supporten. Aktuell kann man hier auch wundervolle Keramiken, Drucke, Sticker und vieles mehr kaufen.
Letzte Frage, aber für uns natürlich super wichtig: Wie sieht euer perfekter Tag in Potsdam aus? Was sind eure Go-To Places?
Simon: Schwierig. Ich weiß nicht, wann ich mir das letzte Mal so einen Tag gestaltet habe. Ich studiere ja Gamedesign, deshalb bin ich oft in Berlin. Aber mein Lieblingsort ist das Studio, wenn ich hier mit Ani sitze und quatsche. Oder cornern am Späti.
Ani: Mein perfekter Tag: Ein schöner 20 Grad Frühlingstag. Ich steh’ auf und gehe mit dem Hund in den Neuen Garten. Das Wasser beruhigt mich da nämlich total. Dann ins Buena Vida und Granola frühstücken, anschließend zum Stöbern ins Bleib Sauber. Auf ins Studio und wenn Simon hier wäre, wäre der Tag schon perfekt! Am Abend zum Essen beim Libanesen in der Gutenbergstraße und dann natürlich ins Schechs.
Schechs ist immer gut! Ihr Lieben, vielen Dank für eure Zeit und die Einblicke in euer Studio.
Das Atelier No Name findet ihr in der Hermann-Elflein-Straße 17 in der Potsdamer Innenstadt. @atelier_no.name






